Methode: Allmähliche Ausgrenzung der jüdischen Deutschen

Zielsetzung

Den Teilnehmenden soll die schleichende, zugleich aber systematische Ausgrenzung und Verdrängung der jüdischen Mitbürger_innen auf der Basis gesetzlicher oder administrativer Verordnungen aus dem gesellschaftlichen Leben deutlich werden. Durch das lebensweltbezogene Nachvollziehen soll ein emphatisches Verstehen ermöglicht werden. Die Methode eignet sich gut als Einstieg in das Thema.

Einzelne Gesetze und Verordnungen, die in alle Lebensbereiche hineinreichen und somit auch im Bezug auf die Lebenswelt der Teilnehmenden relevant erscheinen, werden exemplarisch ausgewählt. Die zunächst „harmlos“ anmutenden Gesetze werden in ihren historischen Kontext gesetzt: Damit wird der Zusammenhang zwischen der nur scheinbar harmlosen Verdrängung aus dem öffentlichen Leben bis hin zur physischen Vernichtung beleuchtet. Im Sinne einer nachvollziehenden Konkretisierung wird gemeinsam erörtert, was die einzelnen Verordnungen, Erlasse oder Gesetze bezogen auf die heutige Lebenswelt der Jugendlichen bedeuteten (Juden dürfen keine öffentlichen Fernsprecher benutzen; Schreibmaschinen sind abzugeben…). Möglich ist auch eine Thematisierung der jeweils erlassenden Instanz, die die verschiedenen Ebenen verdeutlicht und auf ein breites Spektrum von Akteuren verweist. Am Abschluss der Einheit kann die Auseinandersetzung mit einem Ausschnitt aus einem lebensgeschichtlichen Interview der Gedenkstätte Bergen-Belsen stehen, in dem Martin Schmitz als jüdischer Überlebender aus der Zeit vor seiner Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern berichtet. So werden die Auswirkungen der nationalsozialistischen Rassenideologie auf die persönliche, individuelle Ebene herunter gebrochen und für die Teilnehmenden greifbarer.

Themen

  • nationalsozialistische Rassenideologie
  • Volksgemeinschaft
  • nationalsozialistische antijüdische Gesetze und Maßnahmen

Enthaltene Materialien

Vorbereitung

Das Abspielen der Videosequenz muss vorbereitet werden. Die Texte der antijüdischen Gesetze/Verordnungen müssen ausgedruckt werden. Das für die Selbstporträts benötigte Material (große Bögen Papier, Marker/Stifte) sollte bereitgelegt werden. Als Sitzordnung bietet sich ein Stuhlkreis an.

Durchführung

Jede_r der Teilnehmenden stellt sich in Form eines Selbstporträts kurz vor: Die Teilnehmer_innen malen sich selbst und visualisieren das, was sie/ihn ausmacht (Hobbies, Freizeitbeschäftigung; was mir wichtig ist…). Die Teilnehmenden sollten nicht zu viel Zeit auf das Bild verwenden. Das Selbstporträt soll so groß sein, dass es vor der Gruppe präsentiert werden kann.

Die Teilnehmenden erläutern in einem zweiten Schritt ihr Selbstporträt und stellen sich so gegenseitig vor. Da diese Phase besonders bei Gruppen, die sich bereits kennen, nicht zu lang dauern sollte, kann mithilfe der Ergänzung: „drei Dinge auf die Ihr nicht verzichten könnt“ die gegenseitige Vorstellung gestrafft werden. Zusätzlich werden die Teilnehmenden so aufgefordert, noch einmal zu reflektieren, was für sie von ganz zentraler Bedeutung ist.

Im dritten Teil werden Erlasse, Verordnungen und Gesetze aus der NS Zeit eingesetzt, die die allmähliche, kleinschrittige Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung Deutschlands verdeutlichen. Hier sollten exemplarisch solche antijüdischen Gesetze ausgewählt werden, die erwarten lassen, dass sie in der Lebenswelt der Teilnehmenden Bedeutung haben. Einzelne Teilnehmende erhalten Texte einzelner Verordnung, deren chronologische Reihenfolge kenntlich gemacht ist. Je nach Gruppengröße erhält jede_r Teilnehmende einen Erlasstext oder jede_r zweite oder dritte. Die Texte werden nacheinander vorgelesen und gemeinsam besprochen: Was bedeutet der Text? Evtl. wer hat den Text erlassen? Was hieße dies auf die heutige Lebenswelt der Teilnehmenden bezogen? Wären die auf den Selbstporträts dargestellten Hobbies betroffen? Der exemplarische Charakter der ausgewählten Gesetze sollte benannt werden. Alternativ können Kleingruppen gebildet werden, sodass in „Murmelgruppen“ eine oder mehrere Verordnungen/ Erlasse/ Gesetze diskutiert werden und anschließend ein ausgewähltes Beispiel im Plenum vorgestellt wird. Diese Alternative eignet sich insbesondere für größere Gruppen.

Auswertung und Reflexion

In der letzten Phase der Übung können verschiedene Aspekte der Thematik akzentuiert werden, um so die Auseinandersetzung mit den Erlassen, Verordnungen und Gesetzen zusammenzuführen. Hierbei kann diskutiert werden, wie „harmlos“ oder unwichtig die einzelnen Gesetze wirken und wie sie zusammen wirken (z.B.: „Was bleibt am Ende noch übrig von dem, was mich ausmacht?“). Erläutert werden kann, dass auch viele deutsche Jüdinnen und Juden die Gefahr nicht erkannten und erst zu einem Zeitpunkt fliehen wollten, als dies nicht mehr möglich war. Zum anderen sollte darauf hingewiesen werden, dass bei den gewählten Gesetzen und Verordnungen die physische Verfolgung und Vernichtung noch gar nicht erwähnt wurde. (Errichtung der Ghettos und Lager; Deportation; Zwangsarbeit und Ermordung). Darüber hinaus sollte thematisiert werden, dass neben Juden und Jüdinnen auch andere Gruppen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung waren.

Im Anschluss an die Diskussion könnte ein Auszug aus einem lebensgeschichtlichen Interview gezeigt und besprochen werden. Martin Schmitz berichtet in einem Interviewausschnitt, der im Prolog der Dauerausstellung der Gedenkstätte Bergen-Belsen gezeigt wird, über sein Leben vor der Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern. Vor der Auseinandersetzung mit dem Zeitzeug_inneninterview ist es sinnvoll, sich mit dem Thema Oral history zu beschäftigen und Interviews als historische Quellen einzuordnen. Das Video sollte gemeinsam geschaut werden. Im Anschluss können die Teilnehmenden erste Eindrücke schildern und ggf. Fragen klären. Eine Möglichkeit wäre, in einem Mindmap, Sketchnotes o.ä. Informationen zu Martin Schmitz und den genannten Ereignissen zu sammeln und festzuhalten. Als Hilfestellung kann hier der Lebenslauf genutzt werden.

Varianten

Die Einordnung der Erlasse /Gesetze/ Verordnungen in einen Zeitstrahl könnten erfolgen, um die Zuspitzung und den zeitlichen Verlauf zu verdeutlichen. Diese könnten ergänzt werden mit Ereignissen in Martin Schmitz Leben.

Optional könnte eine weitere Einheit zu der Frage eingefügt werden, was die Voraussetzungen dafür gewesen sind, dass solche Gesetze erlassen werden und ihre Wirksamkeit entfalten konnten. An dieser Stelle könnten die jeweils erlassenden Instanzen stärker in den Blick genommen werden. Möglich wäre auch ein Gespräch darüber, wer durch die und von den Gesetzen evtl. auch profitierte (Mitläufer_innen, Zuschauer_innen, Täter_innen thematisieren).

Weiterführende Literatur und Materialien

Benz, Wolfgang: Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1996.

Neirich, Uwe: Erinnern heißt wachsam bleiben: Pädagogische Arbeit in und mit NS-Gedenkstätten. Mülheim an der Ruhr 2000.

Walk, Josef (Hg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung. Heidelberg 1981.

Zusammenstellung antijüdischer Maßnahmen und Gesetze

https://www.lpb-bw.de/publikationen/pogrom/pogrom6.htm

Ähnliches pädagogisches Material

PDF "Ab heute heisst Du Sara" - Bildungsteam Berlin-Brandenburg

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